Donnerstag, 6. November 2014

Polikliniken statt spezialisierter Facharztpraxen: Chirurgen warnen vor Medizinsystem wie in der ehemaligen DDR



Berlin - Der vom Bundesgesundheitsminister eingebrachte Entwurf eines so genannten Versorgungsstärkungsgesetzes soll Wartezeiten in Facharztpraxen durch Vermittlung an Krankenhausambulanzen beseitigen. Andererseits sollen aber Praxen wegen angeblicher Überkapazitäten durch Quasi-Enteignungen aus der Versorgung herausgenommen werden. Dies widerspricht sich. Von den Ärzten wird dahinter ein grundsätzlicher Plan vermutet, der auf eine Abschaffung der niedergelassenen Facharztpraxis und die Einrichtung poliklinischer Strukturen wie in der ehemaligen DDR hinausläuft.

Tatsächlich ist nach Auffassung des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) die Versorgung der Bevölkerung gerade in der Fläche sowohl durch Kliniken für die stationäre Betreuung als auch durch chirurgische Facharztpraxen für die ambulante Behandlung garantiert. Es handelt sich hierbei nicht um doppelt vorgehaltene Strukturen, sondern um unterschiedliche Tätigkeitsfelder, die sich gegenseitig ergänzen. „Die immer wieder vorgetragene Floskel der so genannten doppelten Facharztschiene verkennt die Tatsache, das bei Wegnahme einer Schiene jeder Zug entgleisen wird“, erklärte der Vizepräsident des BDC, Dr. Jörg-A. Rüggeberg.

Offensichtlich hat sich Minister Gröhe (CDU) vor den Karren des SPD-Gesundheitspolitikers Lauterbach spannen lassen, um des Koalitionsfriedens zuliebe dessen rein ideologisch geprägten jahrelang gehegten Wunsch nach Abschaffung der Facharztpraxen mit diesem Gesetzentwurf in die Tat umzusetzen.

Die geplante Vermittlung von Patienten an Klinikambulanzen schränkt nicht nur die freie Arztwahl der Menschen ein, sondern senkt auch das bisherige Niveau hochqualifizierter Facharztmedizin in der ambulanten Versorgung auf den Standard einer Notfallambulanz mit nachgeordneten Ärzten. „Bisher war die freie Arztwahl ebenso ein unumstößliches Primat der Politik wie ein Maximum an Qualität.“ so Rüggeberg. „Wer diese Eckpfeiler der Versorgung umreißt, sollte nicht von Stärkung der Versorgung reden, sondern das Kind beim wahren Namen nennen.“ Ganz abgesehen davon steht nichts im Gesetzentwurf, was den Kliniken helfen könnte, die zusätzliche Belastung personell und finanziell zu bewältigen.

In vielen Ländern ist es durchaus übliche Praxis, Facharztmedizin ausschließlich bei Krankenhäusern anzusiedeln. Die Konsequenzen sind allerdings lange Wartezeiten und eine klare Rationierung von Leistungen. In Deutschland garantiert die duale Versorgung einen höchstmöglichen Standard und kompetente Behandlungen auf allen Ebenen der Versorgungskette.  „Man kann sich ohne Frage auch andere Gesundheitssysteme als das unsrige vorstellen, zum Beispiel das, der ehemaligen DDR“ erklärte Rüggeberg weiter. „ Aber bei einer derartigen Umstrukturierung des Systems muss die Bevölkerung über die Konsequenzen aufgeklärt und eine öffentliche Diskussion geführt werden. Das darf nicht heimlich durch die Hintertür umgesetzt werden.“

Die geplante Enteignung von Praxen in Ballungsräumen ist da Indiz für den eingeleiteten Systemwechsel. Es ist verblüffend, wie der Gesetzgeber ungeachtet jeglicher grundgesetzlicher Bedenken einen freien Beruf mit Enteignung bedroht. „Dies steht in vollem Widerspruch zu den Prinzipien unseres Rechtsstaates!“