Mittwoch, 9. März 2016

Arbeiten in der Chirurgie: Ein Traumberuf mit abschreckenden Rahmenbedingungen

Gemeinsame Pressemitteilung von BNC, BDC und BAO zum Bundeskongress Chirurgie



Glücklicherweise gibt es sie noch: junge Ärzte und angehende Mediziner, die Interesse an einer Weiterbildung zum Chirurgen haben. Bei der Sitzung „Students for Students“ im Rahmen des Bundeskongress Chirurgie, der vom 26. bis 28. Februar 2016 in Nürnberg stattgefunden hat, beschrieb Naomi Lämmlin, Präsidentin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd), die Faszination des Faches Chirurgie: „Der OP ist eine eigene Welt, in der nur der Patient zählt und in der alles andere zurückstehen muss. Ein Chirurg muss schnelle Entscheidungen treffen und sieht sofort das Ergebnis seines Handelns – das gefällt mir.“ Als gestandener Chirurg warb Dr. Matthias Krüger, Beauftragter für Nachwuchsförderung des BDC, mit weiteren Vorzügen für sein Fach: „Chirurgie ist multiprofessionell und interdisziplinär. Wer sich für das Herz-Kreislauf-System interessiert, wählt die Kardiochirurgie. Wer gern mit Kindern arbeitet, geht in die Kinderchirurgie. Wen die inneren Organe faszinieren, der wird Viszeralchirurg.“ Außerdem seien die Karrierechancen von Chirurgen an deutschen Kliniken ausgesprochen gut.

Eine erfolgreiche chirurgische Karriere kann aber auch in die Niederlassung führen, wie Dr. Manfred Weisweiler betonte. Der niedergelassene Chirurg aus Geilenkirchen sagte: „Ich habe noch keinen Tag meiner Niederlassung bereut, denn ich gestalte meine Arbeit selbst, ohne dass mir ein Verwaltungsdirektor reinredet.“ Doch es gibt auch skeptische Stimmen, wie etwa die von Lauritz Blome, Bundeskoordinator der AG Gesundheitspolitik im bvmd, der für sich persönlich den Weg in die Chirurgie mittlerweile ausschließt. „In der Chirurgie herrscht ein immenser Druck, und in keinem anderen Fach sind die Arbeitszeiten so schwer mit einem Familienleben vereinbar“, fasste er seine Kritik an den Arbeitsbedingungen zusammen.

Da das Studium die erste große Hürde auf dem Weg zur Chirurgie darstellt, unterstützen die Berufsverbände bereits dort: Beim Nachwuchs-Kongress „Staatsexamen & Karriere“, der parallel am 26. bis 27. Februar gemeinsam vom BDC und dem Berufsverband Deutscher Internisten e.V. (BDI) veranstaltet wurde, stand die Vorbereitung der Medizinstudenten auf den praktisch-mündliche Prüfungsteil der Pflichtfächer Chirurgie und Innere Medizin im Zentrum. „Reaktionszeiten verbessern und das Verhalten bei einer Bruchlandung trainieren – wie im Flugsimulator können wir Studenten auf den Ernstfall vorbereiten“, eröffnete PD Dr. Carsten J. Krones als einer der wissenschaftlichen Leiter den Kongress.

Mit den Rahmenbedingungen der chirurgischen Tätigkeit sind auch die fertig ausgebildeten Chirurgen zunehmend unzufrieden, wie die politischen Sitzungen des Kongresses verdeutlichten. „Mit einer Fülle von Gesetzen, die nicht zu Ende gedacht sind und in immer schnelleren Takt verabschiedet werden, greift die Politik immer stärker in unsere ärztliche Selbstverwaltung ein. Außerdem werden so keine der kommenden Herausforderungen im Gesundheitswesen – Stichwort demographischer Wandel – gelöst“, kritisierte der BNC-Vorsitzende Dr. Christoph Schüürmann. Zudem sind etliche Gesetzesinhalte widersprüchlich: So passt die neu eingeführte Regelung, nach der Arztpraxen in rechnerisch „überversorgten“ Gebieten aufgekauft werden und damit vom Markt verschwinden sollen, nicht zu den parallel installierten Terminservicestellen, die Patienten bei dringlichen Überweisungen einen Facharzttermin binnen vier Wochen vermitteln müssen. Der BDC-Vizepräsident Dr. Jörg-Andreas Rüggeberg fasste die Kritik der Chirurgen an der Bundespolitik so zusammen: „Die Politik scheint zu glauben, dass durch dirigistische Planung machbar ist, was personell aufgrund des demographischen Wandels und des zunehmenden Ärztemangels schlicht nicht mehr zu leisten ist.“

Über die Frage, wie viele Chirurgen das Land für die gute flächendeckende Versorgung der Bevölkerung braucht, wurden sich die Referenten aus den Berufsverbänden, der Selbstverwaltung, vom GKV-Spitzenverband und aus der Politik allerdings nicht einig. Der zweite Vorsitzende der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Dieter Haack, gab zu bedenken, dass die bisherige Bedarfsplanung von Vollzeitstellen in Einzelpraxen ausgeht. „Im Übrigen

basiert die derzeitige Bedarfsplanung noch immer auf den Ist-Zahlen Anfang der 1990er Jahre. Seither haben sich die Versorgungsbedarfe der Bevölkerung ebenso verändert wie die Möglichkeiten der modernen Medizin. Zudem arbeiten mittlerweile etwa 12.000 angestellte Ärzte im niedergelassenen Bereich, viele davon in Teilzeit.“

Hans-Werner Pfeifer, Referent für Grundsatzfragen beim GKV-Spitzenverband bestand dennoch darauf, dass es Überkapazitäten in etlichen Bereichen der vertragsärztlichen Versorgung gebe: „Diese Überkapazitäten binden ärztliche Zeit und kosten Geld, beides fehlt dann an anderer Stelle.“ Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml, die als Vertreterin der Politik auf dem Podium saß, gab hingegen zu bedenken: „Es ist richtig, dass die Zahl der Ärzte in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Doch gleichzeitig ist die Zeit, die ein Arzt direkt im Kontakt mit dem Patienten verbringen kann, immer weniger geworden. Das ist ein Problem.“

Woran der Zeitmangel bei Ärzten liegt, ist hinreichend bekannt: Verschärfte Hygiene- und Qualitätsrichtlinien und überbordende Dokumentationspflichten machen insbesondere ambulant operierenden Ärzten im Alltag das Leben schwer. Doch Hygiene und Dokumentation kosten nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld, ohne dass dieser Umstand sich in der Vergütung ambulanter Operationen niederschlägt. Für dieses Problem und viele weitere Baustellen will der BAO gemeinsam mit dem BNC, dem BDC und dem Anästhesienetz Deutschland (AND) die Bevölkerung und nicht zuletzt die Politik in einer neuen politischen Kampagne sensibilisieren. BAO-Präsident Dr. Axel Neumann erklärte dazu: „In der Vergangenheit demonstrierten Ärzte zu Tausenden vor dem Brandenburger Tor, wenn sie gegen die Berliner Politik protestieren wollten. Heute gehen wir einen neuen Weg über eine Social-Media-Kampagne.“ Die Kampagne trägt den Titel „Autsch! Wenn Politik weh tut“. Unter www.ihre-ambulante-op-praxis.de können interessierte Ärzte und Patienten sich über die Positionen der beteiligten Verbände informieren und Materialien wie Wartezimmerplakate oder Shortfacts zur Weiterverbreitung über das Wartezimmer-TV, Twitter und Facebook herunterladen.